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„Warum hast du keinen frischen Spargel gekauft?“

  • Autorenbild: Heiko Tornow
    Heiko Tornow
  • 20. Feb. 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Mit dieser Frage beginnt der Streit mit meiner Frau. Sie schaut mich an, als hätte ich sie nicht alle: „ Es ist Februar. Der Spargel ist doch noch gar nicht gewachsen.“


Als ob das ein Argument wäre, sage ich. Der Bedarf an frischem Spargel ist riesig, alle Welt spricht bereits - ohne Übertreibung - von einem Spargel-Notstand. Die Spargelbauern auf der Geest hätten das vorhersehen müssen und die Spargelstangen rascher wachsen lassen können, zum Beispiel in einer neuen großen Spargelfabrik. „Und außerdem“, trumpfe ich auf, „wenn du rechtzeitig genug beim Bauern in Deinste oder in Bliederdorf bestellt hättest, hätten wir jetzt welchen.“ Meine Frau tut jetzt so, als sei sie allein die Hüterin der reinen Vernunft: „Und außerdem: Die Erde ist eine Scheibe.“


Mal abgesehen davon, dass mir dies Sprachbild, nicht gefällt, sie will damit doch nur von eigenen hanebüchenen Mängeln ablenken. Und deshalb entscheide ich unseren Zank ein für allemal für mich: „Mir ist es doch völlig egal ob der Spargel wächst oder nicht. Wenn du für das Gemüse mehr Geld geboten hättest, wenn du nicht so verdammt geizig wärest, hätten wir jetzt Spargel und müssten nicht darben.“


Meine überzeugende Logik siegt. Sie gibt nach, endlich. Wir einigen uns darauf, dass eigentlich Kommissionspräsidentin von der Leyen und ihre ganze Europäische Union die Schuld trägt. Und Kanzlerin Merkel natürlich. Der Spahn sowieso. Die haben, was jeder sofort unterschreibt, weder genug bestellt, noch genug bezahlt und jetzt versagen sie auch noch ganz entsetzlich bei der gerechten Verteilung der knappen Importware. Wir beiden sollen den Spargel erst bekommen, wenn wir 80 Jahre alt sind oder so.


Soweit so satirisch. Aber ziemlich genau nach diesem wirren Muster diskutiert die Nation in jeder Talkshow, auf jeder Zeitungsseite, an jedem Stammtisch die nach wie vor unbefriedigende Lage auf dem Impfstoffmarkt. Nein, das mit den Stammtischen nehme ich zurück. Die sind - coronabedingt - unbesetzt. Nur das sprichwörtlich bedauerliche Niveau der dort oft nach reichlichem Biergenuss vorgetragenen Argumente hat sich im Lockdown erhalten - vielleicht sogar pandemisch verbreitet.


Dabei ist doch dies offensichtlich: Hätten von der Leyen, Gesundheitsminister Spahn, der niedersächsische Ministerpräsident Weil oder der Stader Landrat Roesberg sowohl sehr viel früher als auch und vor allem mehr Impfstoff zu welchem Wucherpreis auch immer bestellt und bezahlt: Niemandem wäre - Stand heute - auch eine einzige Dosis früher oder zusätzlich geliefert worden.


Es sei denn, ganz Europa hätte auf sämtliche Standards verzichtet, die sonst bei der Zulassung unerprobter Impfstoffe bislang für unabdingbar erachtet wurden.


Als da wäre zum Ersten: Ausreichende Sicherheit, nachgewiesen in überprüfbaren und überprüften Verfahren. Wer hätte denn seinen Oberarm entblößt für einen Stoff ohne ordentliche Zulassung? Welche Argumente hätte dann der vernünftige Teil der Gesellschaft den Impfverweigerern entgegenhalten können?


Als da wäre zum Zweiten: Ausreichende Wirksamkeit, nachgewiesen nicht nur an einer Handvoll gesunder und jugendlicher Probanden. Astra- Seneca hat gerade ordentlich Stress, weil seine Impfdosen für Senioren nur bedingt und gegen die grassierenden afrikanischen Virusvarianten gar nicht geeignet sind.


Als da wäre zum Dritten: Ausreichender Datenschutz. Man mag dazu stehen wie man will, aber man stelle sich den Aufschrei vor, hätte Europa - wie Israel es für seine Bürger vereinbart hat- die medizinischen Daten eines jeden deutschen Geimpften dem US-Hersteller Pfizer ausgeliefert. Ungeschützt Daten auf den Computern eines amerikanischen Pharmaherstellers! Oh je, oh je! Die verkaufen das doch schnurstracks an die bösen Lebensversicherungen und die machen dann keine Geschäfte mehr mit uns. Geht gar nicht. (Das war jetzt ein wenig ironisch. Aber das Geschrei wäre gleichwohl riesig gewesen.)


Und zum vierten wäre da noch die gewiss nebensächliche Frage der Kosten. Hätte die EU jeden anderen auf dem Markt überboten und hätte dann doch nur einen kleinen Teil der bestellten Impfdosen erhalten - mir würde sofort und aus dem Stand ein gutes Dutzend Nörgler, Lamentierer und Besserwisser einfallen, die genau diese Strategie für moralisch verwerflich und/oder finanzpolitisch verantwortungslos erachtet hätten.


Ich für meinen Teil habe mich gefreut über die kluge Entscheidung der EU, den Impfstoff für alle 27 Mitgliedsstaaten gemeinsam zu kaufen. Ein sinnloser Kampf um Preise oder Mengen hätten Europa heftig geschadet.


Und noch ein Aspekt sollte in diesem Zusammenhang ein ganz kleines bisschen beachtet werden. Weil auf absehbare Zeit der Impfstoff gegen die Seuche leider knapp bleiben wird und niemand daran etwas ändern kann, ist jede Forderung, man möge für Europa, für Deutschland, für den Landkreis Stade gefälligst den Weltmarkt leer kaufen, kein freundlicher Akt in den Augen von - sagen wir mal - den Südamerikanern oder den Afrikanern.


Was wir mehr verimpfen als diese, was wir in Europa mehr kaufen als es sich der Rest der Welt leisten kann, das fehlt eben dort. Im Januar hat sich Europa bereits 2,3 Milliarden der weltweit verfügbaren Impfdosen gesichert. Damit können sich die 446 Millionen Europäer bis zum Herbst gleich fünf mal impfen lassen. Pandemie - beschreibt dieser Begriff nicht ein weltweites Desaster? Nach uns die Sintflut - bei den anderen?


Zu guter letzt : Ein noch recht rüstiger Fünziger aus Buxtehude erhält dieser Tage Post mit einer Einladung, sich in Stade einen Impftermin zu besorgen. Zeitgleich bekommt sein verstorbener Vater eine gleichlautende Aufforderung. Der eine darf noch längst nicht, der andere kann schon lange nicht mehr. Auf diese Weise wird das Vakzin jedenfalls in Stade nicht gar so knapp werden.


Derweil habe ich mich mit meiner Frau darauf geeinigt: Schwarzwurzeln, also „Winterspargel“ sind auch ein gutes Gemüse. Passt auch besser in die Zeit.

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