top of page

Und immer schön auf dem ( Flicken)Teppich bleiben

  • Autorenbild: Till Tornow
    Till Tornow
  • 31. Mai 2021
  • 3 Min. Lesezeit

Wie an jedem Morgen stehe ich vor dem Spiegel im Badezimmer und schaue mir beim Zähneputzen zu.

Im Radio die Nachrichten. Corona, RKI, Inzidenzen, Todesopfer, Impfstoff. Ich höre gar nicht richtig hin. Da sagte der Sprecher: „...es droht ein Flickenteppich.“

Oh ha! Ich schaue auf meine Füße. Die stehen auf einem Flickenteppich. Der liegt vor dem Waschbecken schon seit Urzeiten, ist bunt, wir haben uns an ihn gewöhnt. Und der soll mich bedrohen?

Jetzt bin ich ganz Ohr. Unser textiler Bodenbelag ist aber gar nicht gemeint, so viel wird schnell klar. Aber Ministerpräsidenten aus mindestens 15 von 16 Bundesländern beklagen, dass die jeweils anderen nicht die genau gleichen Pandemieregeln erlassen, wie sie selbst es für geboten erachten. Und deshalb droht ein Flickenteppich. Um eben diesen zu vermeiden, fordern Epedimologen einen bundeseinheitlich wirksamen Lockdown. Sprecher der Opposition mäkeln, die Bundesbürger seien wegen zahlreicher regional unterschiedlicher Coronaregeln verwirrt und verunsichert, niemand wisse mehr, was wo gilt.

Dario Schramm, der Sprecher der Bundesschülerkonferenz, bringt es dann auf den Punkt: „Wir brauchen einheitliche Coronaregeln“. Man erlebe einen „unfassbaren Zickzackkurs" und niemand blicke mehr durch. Schuld an Wirrnis und Orientierungslosigkeit sei, wie kann es anders sein, „die Politik“.

Ja, wie furchtbar. Da weiß also der Abiturient aus München nicht genau, wie seine Mitschüler an der Haleghenschule in Buxtehude oder am Stader Atheaneum auf die Prüfungen vorbereitet werden. Den Jungen und Mädchen in Berlin und Hamburg geht es ähnlich. Überall ist es anders als bei uns. Schrecklich! Und meine Frau weiß gerade auch nicht präzise, worauf ihre Freundin in Dortmund achten muss, wenn sie zum Friseur geht. Maske, Schnelltest, Kopftuch und Onlineanmeldung oder reicht ein AHA-Erlebnis mit Telefontermin wie bei uns? Aber warum sollte sie das in Verzweiflung stürzen? Sie nimmt’s gelassen.

In der kommenden Woche wird es nur zwei wirklich wichtige Themen geben. Söder oder Laschet und der bundesdeutsche Flickenteppich, den die Kanzlerin gern ein wenig einheitlicher weben möchte.

Wenn sie sich damit mal nicht übernimmt.

Als die Bundesrepublik vor 72 Jahren gegründet wurde, schrieb der Parlamentarische Rat - traumatisiert von 12 Jahren eines furchtbar geführten Einheitsstaates n- diesen seither „Ewigkeitsklausel“ genannten Artikel 79 ins Grundgesetz: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung ...... berührt werden, ist unzulässig.“ Punkt. Keine noch so große Mehrheit im Bundestag kann diese bundesstaatliche Ordnung unseres Staates aufheben. Dieses bunte Mit- und Gegeneinander von 16 unterschiedlichen großen und kleinen Bundesländern historisch hat Ewigkeitsrang. Deutschland ist der Staat, der er ist, weil die Bundesländer in gegründet haben. Nicht umgekehrt.

Man mag das beklagen - ich tue dies ausdrücklich nicht. Die Machtbalance zwischen Bundestag und der Länderkammer hat sich im Großen und Ganzen bewährt. Ein ausschließlich zentral gelenkter Staat - Frankreich etwa - steht weiß Gott nicht besser da als unser - zugegeben - leicht unübersichtliches System; schon gar nicht, wenn man deren Coronaergebnisse mit den unseren vergleichen wollte. Fehler werden hier wie dort gemacht.

Ich kann der merkwürdigen und sich leider verbreitenden Sehnsucht nach einem deutschen Einheitsbrei nichts abgewinnen. Was ist falsch daran, wenn die Oberbürgermeister von Rostock und Freiburg für ihre Städte austesten, wie ihre Bürger ein wenig entspannter durch die Krise kommen? Warum soll die Buxtehuder Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt nicht ausprobieren, ob in der Altstadt ein wenig mehr urbanes Leben möglich wäre?

Das ist zwar nicht bundeseinheitlich, die Menschen anderswo mögen denken: Warum die und wir nicht? Sie werden damit leben müssen und damit auch gelassen leben können. Es gibt nun mal nichts Gutes, außer man tut es.

Wer dicht dran ist an den Problemen, hat womöglich einen schärferen Blick auf die Details und sieht Lösungen, wo andere nur auf die pingelige Einhaltung von Vorschriften pochen.

Aber auch das gehört dazu: Wenn es schiefgeht, müssen die Verantwortlichen die Verantwortung selbst übernehmen. Dann gibt es keine Ausrede nach dem Motto: Ich bin gar nicht zuständig und Schuld haben die in Berlin.

Wie so was geht, hat einmal ein junger Innensenator in Hamburg gezeigt. Nach der großen Flut von 1962 übernahm er kurzerhand das Kommando über alle Rettungskräfte -auch als Zivilist über die örtlichen Einheiten der Bundeswehr - und tat, was getan werden musste. Hätte Helmut Schmidt damals erst die Bundesregierung gefragt - Bedenkenträger hätte es genug gegeben und mit der raschen Rettung von Flutopfern wäre es wohl nichtsgeworden.

In diesem Zusammenhang fällt mir ein schöner Spruch ein: „Gehe nie zu deinem Fürsten, wenn du nicht gerufen wirst.“ Schon gar nicht sollte man aber den Fürsten rufen, wenn man ihn nicht braucht.

Ps: Ein Rat für alle, die gerade mal wieder nicht genau wissen, welche Coronaregeln in diesen Tagen im Landkreis Stade gelten: Tageblatt lesen. Steht alles genau drin. Weitersagen und schön auf dem (Flicken)Teppich bleiben!

 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Kommentare


Abo-Formular

Vielen Dank!

0416186033

  • Facebook
  • Twitter
  • LinkedIn

©2021 HeikoTornow. Erstellt mit Wix.com

bottom of page